Gustav Pfizer                          Die Schwierigkeit des Sonetts

 

Den Musen bring’ und Opfer bring’ dem Glücke,

Festhekatomben, welche schneeweiß glänzen,

Begehrst du, daß dein Haupt, schon reich an Kränzen,

Mit des Sonettes Lorbeer noch sich schmücke.

 

Denn bald zersprengt mit mörderischer Tücke

Der Masse Gluth der Form so zarte Grenzen;

Bald fühlst du dich ohnmächtig, zu ergänzen,

Die ein vollkomm’nes Werk entstellt, die Lücke.

 

Doch raste nicht, bis dir ein Guß gelungen,

Der blank und voll sich aus der Hülle schäle,

Deß Glanz beschäme jede Lästerungen;

 

Wo Schönheit all’ die Glieder ohne Fehle

Mit gleichverteiltem Leben ganz durchdrungen,

Des holden Leibs allgegenwärt’ge Seele.

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Reife

 

Zwar pflücket man die goldne Pomeranze,

Die man in ferne Länder will versenden,

Eh’ ganz sie reif, mit sorgsam leisen Händen,

Noch unberührt vom stärksten Sonnenglanze.

 

Auch mag ein Krieger, wenn der Liebe Pflanze

Zu langsam keimt und schon die Rasten enden,

Den Kuß der ungefäll’gen Lipp’ entwenden,

Eh’ er verschlungen wird vom Waffentanze.

 

Doch übersättigt nur vom Sonnenstrahle

Ergießen in Hesperien die Trauben

Ihr dunkelrothes Blut in die Pokale;

 

Nur vollgereiftes Lied erfreut die Musen,

Und an der Liebe Gottheit darfst du glauben,

Nur wenn sie zu zersprengen droht den Busen.

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Parteien

 

Zu herrschen gilt es oder zu befreien;

Nur durch die Masse trotzt man den Gefahren:

D’rum möchten Hader sie und Mißtrau’n sparen;

Doch stehn im eignen Lager auf Parteien.

 

Du schreitest vor mit Zweien oder Dreien,

Die bisher Eines Sinnes mit dir waren;

Doch willst du dein Geheimstes offenbaren,

So wirst du mit dem Letzten dich entzweien.

 

Du willst im Hause Gottes Frieden suchen:

Dort hörst du schaudernd von des Priesters Munde

Am gräßlichsten, wer anders glaubt, verfluchen.

 

Doch wolle nicht um Gunst, verleugnend, werben,

Und eh’ dein Herz du zwingst zu falschem Bunde,

Erwähle dir, als Eremit zu sterben!

 

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Hic moriar!

 

Obwohl, mein Vaterland, du deine Dichter

Verfolgst oft mit prosaisch rohem Hasse,

Der edlen Kunst verweigerst deine Kasse

Und auszulöschen liebest deine Lichter:

 

Obwohl du aufstellst finstre Höllenrichter,

Die Tod ausgießen aus dem Tintenfasse,

Und wie Tarquinius, zum frevlen Spaße,

Durch’s hohe Mohnfeld wandeln als Vernichter:

 

Doch will und kann ich niemals dich vertauschen

Mit jener neuen Welt, die Alle loben;

Ich höre dort noch keinen Lorbeer rauschen!

 

Und kann der Dichter Vieles auch entbehren:

Nie wird er dem Bedürfnis doch enthoben

Nach Menschen, die ihm Herz und Ohr gewähren.

 

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Frauendienst

 

Du dankest, Freund, dem zarteren Geschlechte,

Deß’ heitrem Dienst Italien dich geweihet,

Nachdem der Norden nüchtern dich kasteiet,

Manch’ holden Rausch der froh verschwelgten Nächte.

 

Du sagtest ab der Heimath strengem rechte,

Wo man der Schönheit keine Schuld verzeihet,

Die Grazie nie von Fesseln sich befreiet,

Und sieht mit Hohn auf uns, der Sitte Knechte.

 

Doch wir beneiden immer dich! Verzichtet

Hast du, zu glauben an des Weibs Verklärung,

Und liebst, vergötternd, heidnisch ihre Mängel:

 

Doch uns, zum reinen Priesterdienst verpflichtet,

Uns schwillt, geläutert selbst durch die Belehrung,

Das sel’ge Herz von Wort und Blick der Engel.

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Die Rettung aus dem Labyrinth

 

In diesen tiefgelehrten Irrgewinden,

Wo ich den Schatz der Weisheit wollte heben,

Doch ohne Fund, versenkt in Angst und Beben,

Mich glücklich pries, den Rückweg nur zu finden:

 

Da warfest du, o Muse, mir, dem Blinden,

Den Faden zu, der noch dem goldnen Leben,

Dem heitern Lichte mich zurückgegeben,

Zu ew’ger Liebe mich dir zu verbinden.

 

Ach, nicht wie Ariadne den Heroen,

Erlösest du mich aus des Irrsals Schauer!

Zu fern bin ich, o Göttin, dir, der Hohen!

 

Ein flüchtig Mitleid war es, ohne Dauer;

Längst bist dem Erdensohne du entflohen,

 Und meine Seele blickt dir nach voll Trauer.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Wünsche

 

Stumm lagerten die Heerden auf dem Feld,

Der Mittag war so sonnig und so schwül,

Mein durst’ges Auge trank des Himmels Kühl,

Deß reines Blau durchschimmerte mein Zelt.

 

Die Sabbathruhe schwebte auf der Welt,

Der Leidenschaft, der Sorge bunt Gewühl

Verschwamm mir in ein blasses Lustgefühl;

Auf Ruhe war mein ganzes Herz gestellt;

 

Da sah ich rastlos an den grünen Hügeln

Den schmetterling um tausend Blumen schweifen,

Und Kühlung weht’ er sich mit eignen Flügeln;

 

Da dacht’ ich: Köstlicher noch ist als rasten

Leicht über’s goldne Leben hinzustreifen

Und göttlich frei zu sein von seinen Lasten.

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Berenice’s Haar

 

Aus grauer Vorzeit tönt herab die Kunde

Von Berenice’s wunderschönen Haaren;

Ein Kaiser selbst hat ihre Macht erfahren

Und trug in tiefer Brust die Liebeswunde.

 

Doch möchte wohl nicht zum vollkomm’nen Bunde

Die Seele mit des Leibes Reiz sich paaren;

Und nur die Locken, die ihr Schönstes waren,

Erhob der Dichter Lied zum Sternenrunde.

 

O möchtet ihr ein treu abwägend Richten,

Das von der Milde nie sich mag entfernen

Und reines Gold vom Staube weiß zu sichten,

 

Aus der Vergött’rung jener Locken lernen!

Das Mangelhafte muß sich selbst vernichten,

Doch ungekränkt schwebt Schönheit zu den Sternen.

 

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Diamanten und Splitter

 

Den Diamanten, die das Aug ergetzen

Mit ihren bunten, wunderbaren Strahlen,

Vervielfacht sich der Werth zu tausendmalen

Nach stürmisch aufwärts eilenden Gesetzen.

 

Wohl mag’s des eitlen Thoren Herz verletzen,

Der liebt mit seines Goldes Macht zu prahlen,

Wenn vom Regent er hört, den zu bezahlen

Man nicht vermochte mit des Nabobs Schätzen.

 

Wärst du, o Deutschland! nicht so sehr zerschlagen:

Der größten Diamanten wärst du Einer,

Und niemand dürft’ um dich zu markten wagen!

 

Jetzt liegst du da beinah’ in dreißig Splittern;

Du hegst ein köstlich Wasser, wie sonst keiner,

Und mußt vor Juden doch und Christen zittern!

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Nachtrag

 

 

I.

 

Gewähnt schon hatt’ ich, daß mir neugeboren

Des Lebens frische Blume wieder blühe;

Doch nun klag’ ich mich an: daß ich zu frühe

Die Trauer um den Todten abgeschworen.

 

Ein Schatten kam mir aus des Traumes Thoren,

Sein Mund sprach leise Worte nur mit Mühe:

„Vergißt du, daß noch meine Asche glühe?

Ach, hab’ ich dein Gedächtniß schon verloren?“

 

Wie tief der Vorwurf mir ins Herz geschnitten –

Ich kann es nicht mit Worten wiedergeben;

Die Thränen fühlt ich aus den Augen stürzen.

 

Nun bin ich taub der heitern Freunde Bitten,

Ich will mir selbst, will meiner Wehmuth leben

Und nicht das heil’ge Recht der Todten kürzen.

 

 

II.

 

Den Tadel hör’ ich wohl aus manchem Munde:

„Warum denn immer noch des Leides pflegen?

Kein Tapfrer noch ist solchem Schmerz erlegen;

Es drang der Pfeil nicht zu des Lebens Grunde.

 

So schaffe denn, daß bald dein Muth gesunde!

Du mußt im Leben kräftig dich bewegen!

Unmännlich ist es, noch der Narbe pflegen

Der schmerzenlosen Spur geheilter Wunde!“

 

Die Wunde heilt; doch saht ihr, wie ein Name

Dem Bäumchen eingeritzt von einem Kinde,

Verschwistert mit dem Stamm ward groß getrieben?

 

Dies Bild – mich dünkt, es paßt zu meinem Grame!

Stets schwillt er höher, doch nicht in der Rinde:

Er ist in meines Herzens Herz geschrieben.

 

 

III.

 

Wenn unerbittlich ist die That geschehen,

Giebt doch das Herz sich nimmermehr zufrieden,

Und was zu wenden ihm nicht mehr beschieden,

Das will es doch in seinem Grund verstehen.

 

So treibt mich’s, das Verhängniß zu erspähen,

Das dich so rauh zerschmetterte hienieden;

Warum am Fels, den Tausende vermieden,

Du, Lenenswürd’ger, mußtest untergehen?

 

Was trieb so früh dich in’s unholde Grab?

war schon ein Riß im köstlichen Juwele,

der bis zum innern Kerne drang hinab?

 

Vergeblich ist’s, daß ich’s mir selbst verhehle!

Dich tödtete dein Genius, ach, er gab

Von Stahl den Willen in die weichste Seele.

 

 

IV.

 

Der fleiß’ge Landmann, müde von den Lasten

Der Woche, sieht den Sonntag freudig kommen,

Wo er, im Tempel betend mit den Frommen,

Vom ird’schen sauern Tagewerk darf rasten.

 

Das Feierkleid sucht er hervor im Kasten;

Wenn er das kräft’ge Gotteswort vernommen,

Glüht frisch des Lebens Docht, der matt geglommen

In der Alltäglichkeit zu langen Fasten.

 

So sorg’ auch ich, daß mir das freche Leben

Das Heilige nicht aus der Seele wische,

Nicht untergrabe die gelobte Treue;

 

In Thränen reinigt sich Gemüth und Streben,

Wenn in der Trauer einsam-ernster Nische

Ich den Erinn’rungsschmerz um dich erneue

 

 

V.

 

Oft drängt im Schlafe furchtbar sich die Hyder

Der Angst an unser Herz mit grimmen Bissen;

Von einer Blutschuld färbt sich das Gewissen,

Entsetzen schleicht durch’s Mark und lähmt die Glieder.

 

Die Wucht des Grames beugt die Seele nieder;

Da blitzt es plötzlich in den Finsternissen,

Des Traumes Binde hat der Geist zerrissen;

Wir athmen leicht im goldnen Tage wieder.

 

So ist mir oft, als könnt’ ich mich ermannen,

Mit guter Botschaft mich zur Freude wecken

Und diesen Gram in’s Fabelreich verbannen;

 

Doch keine Träume sind es, die mich schrecken;

Lebendig, unzerreißbar, wie die Schlangen

Laokoon, hält mich der Schmerz umfangen.

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Der Kranke in Italien

 

 

I.

 

Was kamst zu schaun du in dies Land so hold?

Willst du, gehüllt in purpurfarb’nen Sammt

den greisen Priester sehn beim heil’gen Amt?

Bist du der Kunst, der göttlichen, im Sold?

 

Hat die Granate, der Zitrone Gold

Dem bleichen Fremdling solchen Wunsch entflammt?

Vernahmst du, daß man hier nicht streng verdammt

Die Liebesgluth von Tristan und Isold?

 

Lockt dich das Bild der Welt beim Karneval?

Der Leichtsinn, gaukelnd auf der Vorzeit Gruft?

Der heiße Wein, umlaubt noch im Pokal?

 

Pompeji’s Fund? Der Tiber rost’ger Raub?

Die Geister, tanzend in des Meeres Duft?

Der frischen Schönheit Glanz und heil’ger Staub?

 

 

II.

 

O nichts von diesem! Gönnt mir eine Stätte,

Sei es im Hain, sei’s unter Tempelsäulen,

Wo von Apollo’s scharfen Todespfeilen

Ich, schwergeängstet, meine Jugend rette!

 

Laßt ruhen mich im Laub und Blumenbette,

Daß seine Blicke mir vorübereilen,

Daß Wohlgerüche stärken mich und heilen,

Und ich gewinnen mag die theure Wette.

 

Ich fleh’ euch Götter, Menschen, Bäume, Rosen!

O laßt nicht weiter den Verfolger streben,

Und mir vergönnet Rast, dem Athemlosen!

 

Daß ich, von eurer Schönheit Wall umgeben,

Unangefochten länger noch darf kosen

Mit meinem innigtrauten, süßen Leben!

 

 

 

 

 

 

Gustav Pfizer                          Frage nach Vollendung

1807 - 1890

Des Menschen reinstes Bild möcht’ ich ergründen;

Soll ich ihn suchen, wie er glüht am Morgen,

Wo noch der Geist gebunden und verborgen

Allmählich nur die Triebe sich entzünden?

 

Wenn Kraft und Weisheit sich im Mann verbünden,

Doch schon die Beute lastend schwerer Sorgen,

Von bessern Tagen er die Lust muß borgen,

Die nicht mehr sprudelt aus der Seele Gründen?

 

Oh dann, wenn von der Jahre Schnee geschmücket,

Dem edlen Baume gleich, dem halbgefällten,

Der Greis mit schmerzlich lächelndem Entsagen

 

Zu seinem offnen Grab hinab sich bücket,

Dem wunderbaren Spiegel bessrer Welten,

Ihm eine neue Jugend abzufragen?